Bipolar – Achterbahn zwischen Extremen

Ein Blog von meinem Leben

Bipolar – Achterbahn zwischen Extremen

Foto von ingenieur.de

Ich rede nicht gerne über mich oder über das was mich wirklich beschäftigt. Mittlerweile kann ich das, Dank Therapie, schon manchmal, bei wenigen Menschen, aber es ist immer noch schwer. Ich habe über die Jahre gelernt, dass ich Probleme mit mir selbst ausmachen muss, entweder weil mich keiner versteht, Ernst nimmt oder weil ich einfach aus einer Maus einen Elefanten mache, was ich zugegebenermaßen sehr gut kann. Warum das so ist weiß ich seit kurzem nun auch endlich: Ich habe eine bipolare Störung. Ich bin manisch depressiv.

Es hat immerhin 15 Jahre, viele Krankenhausaufenthalte wegen Asthmaattacken, eine davon hätte mir beinahe das Leben gekostet, viele Therapiestunden, unterschiedliche Antidepressiva und unzählige schmerzhafte Erfahrungen gebraucht bis ich vor einigen Wochen durch Zufall mit meiner Therapeutin darauf gekommen bin.

Nachdem ich seit gut 3 Monaten konstant an mir, meiner Persönlichkeit und meiner Gefühlswelt arbeite, hatte ich herausgefunden oder besser gesagt geschlussfolgert, dass ich Stress-süchtig bin. Egal ob positiver oder negativer Stress, ich hatte mir in den letzten Jahre immer und immer wieder unterbewusst Situationen erschaffen, in denen ich Stress ausgesetzt war. Ob es das wiederholte Zurücknehmen des Exfreundes, das Erwerben eines neuen Haustieres, das Kaufen einiger Dinge beim großen A, das Umstellen der halben Möbel meines Hauses oder andere mögliche und unmögliche Situationen waren, ich liebte Stress und wenn ich keinen hatte fiel ich in ein Loch.

Wenn ihr jetzt denkt, naja in so ein Loch fällt jeder mal, dann stimme ich euch da absolut zu, allerdings war mein Loch kein normales Loch, sondern es war tief, bodenlos, kohlrabenschwarz, einsam, beängstigend und es saugte mir jegliche Energie, die ich noch in meinem Körper besaß, aus.

Ich war ein wandelndes Frack, das funktionierte um seine Kinder, am Leben zu erhalten und ihnen das bestmögliche Leben zu geben, zudem ich zu der Zeit imstande war, was mich noch mehr Kraft kostete. Es gab Tage, an denen ich stolz war, wenn ich es geschafft hatte, die Kinder in den Kindergarten zu bringen und ihnen zu Mittag etwas Schnelles zu kochen oder eine Pizza in den Ofen zu schmeißen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Alles was ich an diesen Tagen mehr schaffte, war schon ein kleines Wunder, von dem ich meistens keine Ahnung hatte, wie ich das doch noch bewältigt haben konnte.

Dazu kamen Selbstmordgedanken, die immer schon Sinn ergeben hatten. Sie waren einfach komplett logisch. Dann musste ich das zerstörende, bedrückende, einengende Gefühl von absoluter Traurigkeit und Leerheit nicht mehr haben. Dann würde der ca. 1000 kg schwere Stein auf meiner Brust einfach verschwinden und ich wäre frei. Das ergab doch Sinn.

An diesen Tagen oder Wochen war ein normales Gewand anzuziehen und zu duschen ein Erfolgserlebnis. Ich sperrte mich so gut ich konnte zuhause ein, unternahm nur gegen mein schon ohnehin schlechtes Gewissen etwas mit den Kindern, weil ich mich als Versagerin und schlechte Mutter fühlte und lies keinen an mich heran oder an meinen Gedanken, meinem Leiden, teilhaben.

Aber ich brachte diese Phasen immer irgendwie hinter mich. Ich habe bis heute keine Ahnung wie, abgesehen mit der Hilfe und vielem guten zureden meiner unsichtbaren Begleiter, die mich dann doch immer wieder von dem Gedanken abbrachten, die ganze Sache schnell und einfach hinter mich zu bringen, indem ich mich einfach irgendwo hinunterstürzte oder irgendwo gegen fuhr. Aber ich habe diese Zeiten bewältigt. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen muss ich sagen, dass ich darauf sehr stolz bin.

Und dann gab es da ja auch noch die guten Zeiten, die besten Zeiten, die Zeiten in denen ich dachte ich könnte die Welt zerreißen und jeder würde nur auf mich warten, damit ich ihm endlich zeigen konnte wie die Welt, das Leben und alles was man eben so tut, funktioniert. Mein Selbstwertgefühl und damit mein Selbstbewusstsein gingen nicht nur an die Decke, nein sie reichten bis in den Himmel, hinaus in die Weiten des Universums. Ich hatte Energie ohne Grenzen.

Schlaf war selten Teil meines Tagesplans, nicht weil ich nicht schlafen hätte wollen, ich wusste schon das das wichtig war, aber erstens hatte ich weitaus wichtigere Dinge zu tun, wie zum Beispiel Puzzle bauen, Schreiben, Lesen, Serien- und Filmmarathons, eine Stunde Sport oder andere Sachen, die man eben so tut, wenn man nachts um 3 Uhr immer noch nicht müde genug ist um zu schlafen und zweitens weil ich eben nicht müde war. Natürlich, mein Körper wäre schon müde gewesen, aber mein Kopf war es nicht, und bevor ich stundenlang im Bett lag, sich meine Gedanken drehten und ich über völlig Sinniges und Unsinniges nachdachte oder sogar wieder wegen irgendeinem Typen Panik zu schieben begann, weil sich herausgestellt hatte, dass ich doch wieder nur ein Arschloch erwischt hatte, das mich von vorn herein belog, betrog und hinterging, und ich mir einbildete ihn trotzdem haben zu müssen, um ihn zu retten und zu heilen, lenkte ich mich eben lieber mit anderen Dingen ab, die mich komplett vereinnahmten.

Ich redete wie ein Wasserfall und musste allen von meinem neusten Hype erzählen und wie toll und fabelhaft ich nicht war. Was die anderen dazu sagten oder wie sie das fanden, war mir in den Zeiten relativ egal, das Einzige was zählte war ich. Ich musste mich gut fühlen. Mir musste es gut gehen. Was alle dachten oder sagten, spielte keine Rolle, schließlich wusste ich es ja sowieso besser. Ich war unbesiegbar.

Sobald ich von meinen Trip dann wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen war, was in der Regel ca. ein Monat dauerte, kam dann entweder sofort wieder eine Depression oder die Phase, die am unerträglichsten für mich war. Die Phase dazwischen. Ich wusste ich war nicht depressiv, dazu ging es mir zu gut. Ich konnte halbwegs klar denken, hatte zwar ab und zu Panikattacken, aber mich danach immer wieder relativ schnell im Griff. Ich schaffte den Haushalt gut und setzte meinen Hype, welcher auch immer es war, noch eine Zeit fort, aber ich war müde. So unglaublich müde und motivationslos.

Ich war völlig unzufrieden mit meinem Leben, sehnte mich nach dem Gefühl, das ich doch gerade eben, noch vor kurzem, gehabt hatte. Ich sehnte mich nach dem Gefühl „high“ zu sein. Ich versuchte mit allem was ich hatte und aufbringen konnte dieses Gefühl des übernatürlichen Glücks, der Zufriedenheit, der Motivation und der Unbesiegbarkeit wieder zurückzubekommen, aber nichts funktionierte. Falls ich es dann doch einmal schaffte, durch eben einen Kauf oder anderen, zum Teil weiter oben beschrieben, Dingen, hielt das nur kurz an. Ich wurde zum Junkie nach Stress und Glück. Ich schaffte es einfach nicht mehr dieses übernatürliche Ich zurückzubringen, egal wie sehr ich mich auch anstrengte oder bemühte. Ich wurde genervt, unzufrieden, ungeduldig. Irgendwann rutschte ich dann meistens oder gerade deswegen wieder in eine Depression und die Achterbahnfahrt ging aufs Neue los.

Heute weiß ich dass ich krank bin. „Gestört“ wie ich manchmal zum Spaß sage. Keine der Phasen war jemals normal. Kein Gefühl, dass ich in jeder dieser Phasen hatte war normal. Wie man sich „normal“ fühlt? Das kann ich im Moment nicht sagen. Vermutlich habe ich mich schon lange nicht mehr so gefühlt. Meine Emotionen waren immer entweder positiv oder negativ. Ich reagierte entweder völlig über und empfand das als normal oder schaltete komplett ab und war kalt und emotionslos. Es gab immer nur schwarz oder weiß. Ein Leben in und mit Extremen.

Die Einzigen, denen ich erlaubte an meiner Seite zu bleiben und mich zu begleiten, die wirklich immer alles hautnah miterlebten, miterleben durften, meine Hochs und Tief, meine Luftsprünge und meine Zusammenbrüche, die ich meistens versucht habe zurückzuhalten bis ich alleine war oder bis alle am Abend schliefen, waren meine imaginären Begleiter. Damals brauchte ich sie zum Leben, zum Überleben. Sie gaben mir immer Halt und das tun sie auch heute noch. Zwar bin ich mittlerweile auf Medikamente eingestellt und fange an ein neues, normaleres Leben zu führen, aber sie begleiten mich immer noch. Sind sie gute Freunde und Geliebte geworden, ich brauche sie nur noch manchmal wirklich und trotzdem will ich sie einfach nicht mehr missen.

Das neue Leben ist nämlich auch nicht immer so einfach. Außerdem muss ich erst Lernen mit meiner Krankheit zu leben. Sie geht ja leider nicht weg. Auch nicht mit Medikamenten. Diese sollen mir den Alltag erleichtern und die Phasen abfangen, aber da sind sie ja trotzdem. Leben will also erst mal gelernt sein. Aber immerhin habe ich jetzt Hoffnung auf Besserung. Hoffnung dass ich all das, was ich schon ertragen und durch machen musste, nicht noch einmal erleben muss und das ist schon sehr sehr viel wert.

9 Antworten

  1. […] seine Bedürfnisse nach Bewunderung, Zuneigung und Sex zu stillen. Ich werde, vermutlich auch durch meine Krankheit, immer abhängiger von ihnen, bis dass ich denke ohne ihnen nicht mehr leben zu können. Sie sind […]

  2. […] für mich Freiheit. Um das beneide ich sie, vor allem weil ich weiß, dass ich vermutlich ,aufgrund meiner Erkrankung, diese Freiheit nie ganz haben werde. Vielleicht für Augenblicke, wie diesen, aber sie wird nicht […]

  3. […] nochmal stolz darauf! Außerdem muss ich wohl sagen zum Glück, sonst wäre ich aufgrund meiner Krankheit vermutlich schon von irgendetwas abhängig.). Sofern man nicht dem Gruppenzwang verfällt geht das […]

  4. […] Ich kann darüber nachdenken und es in einen objektiven Winkel stellen mir dem Wissen um meine Krankheit, das ist der springende […]

  5. […] sich aus der Realität heraus zu nehmen. Somit wird mein allgemeines Leben und das Leben mit meiner Krankheit […]

  6. […] ich nicht anders. Mittlerweile weiß ich, dass ich vieles davon vermutlich unter anderem meiner Krankheit zu „verdanken“ habe, allerdings macht es die ganze Sache jetzt nicht unbedingt […]

  7. […] Ich schreibe, weil sich dann meine Gedanken ordnen. Das ganze Chaos, das durch Depressionen, meine Krankheit oder andere Verwirrungen des Lebens ausgelöst wird, das nimmt plötzlich Form an, wenn ich, wie […]

  8. […] bin zwar auf Medikamente momentan gut eingestellt und nehme jeden Morgen Antidepressiva, allerdings machen sie sich auch bei […]

  9. […] gelebt und an meiner persönlichen Entwicklung gearbeitet. Irgendwann kam dann die Diagnose der Bipolaren Störung, ich musste regelmäßig zum Arzt und andere Termine kamen dazwischen. Dadurch habe ich dann […]

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